Die Sehnsucht nach Bedeutung ist zurück – jedoch nicht in der großen Geste, sondern in der kleinen Form. Dort, wo früher Logos dominierten, erzählen heute Miniaturen aus Metall, Emaille oder Perlen stille Geschichten über Identität, Zugehörigkeit und Erinnerung. Charms – jene verspielten Anhänger, einst als Glücksbringer oder Souvenir belächelt – erleben in der aktuellen Saison ein modisches Comeback, das sich weit mehr als nur nostalgisch liest.
Längst sind Charms nicht mehr bloß Relikte vergangener Jahrzehnte oder Y2K-Romantik im Pandora-Stil. Vielmehr sind sie Teil eines neuen, hyperpersönlichen Looks, bei dem Mode weniger über Konsum als über Codes funktioniert. Wenn Taschen mit Ketten versehen werden, die an antike Talisman-Ketten erinnern, dann schwingt dabei nicht nur Design mit, sondern auch Deutung. Die Detailverliebtheit steht nicht im Widerspruch zur Coolness – sie ist ihre Essenz.
Charms in der High Fashion
Auch die Luxusmode bleibt vom Mikrotrend nicht unberührt. In der aktuellen „Flight Mode“-Kampagne von Louis Vuitton – inszeniert zwischen Pariser Bordsteinen und Hotellobbys – trägt die britische Creatorin Madeline Argy eine schwarze LV Biker Bag, deren Anhänger-Ketten mit Perlen und silberfarbenen Gliedern wie ein Schmuckstück drapiert sind. Charms werden hier nicht additiv, sondern konzeptuell gedacht: als kreative Erweiterung der Persönlichkeit und dessen subtile Signatur.

Der modische Prolog dieses Trends lässt sich jedoch bereits ein Jahr früher verorten – an den Handgelenken und Taschenhenkeln von Fashion-Creators, die auf Instagram und TikTok ihre Hermès Birkin Bags mit ikonischen Charms wie dem Rodeo-Horse, Seidencarré oder Mini-Mascot aus dem Hause Hermès schmückten. Was nach einem Kontrast klingt – fünfstellige Taschenwerte und kindlich-verspielte Anhänger – wurde zum kalkulierten Stilmittel: Luxus mit Ironie, Traditionsobjekte mit Pop-Attitüde. Der Charms-Trend wurde damit nicht nur ästhetisch, sondern auch kulturell aufgeladen.
Auf TikTok und Instagram formiert sich rund um #BagCharms eine digitale Bewegung, in der vor allem Gen Z dem Trend neue Bedeutungsebenen verleiht. Zwischen DIY-Kits, Vintage-Funden und personalisierten Charms mit astrologischen Motiven entstehen hyperindividuelle Looks, die von der digitalen zur materiellen Identität reichen. Jede Kombination ist ein visuelles Tagebuch – jede Tasche ein erzählerisches Geflecht aus Anhängern, Symbolen und Erinnerungen.
@kezia.cook I’m sorry but aren’t these the cutest charms you’ve ever seen 🥹 #bagcharms ♬ my first love was the ocean – beachbumblaine
Sind Charms die neuen Statussymbole?
Was früher durch plakative Logos kommuniziert wurde, geschieht heute über narrative Details. In der Sprache der Charms wird ein neuer Luxus artikuliert – einer, der nicht mit Preis, sondern mit Bedeutung aufgeladen ist. Kleine Anhänger symbolisieren Erinnerungen, politische Statements, Hobbies sowie Humor.
Designer*innen wie Simone Rocha, Jonathan Anderson (Loewe) oder Nigo (Kenzo) experimentieren mit Accessoire-Charakteren und textilen Miniaturen – zwischen kindlicher Verspieltheit und couture-tauglicher Komplexität. Selbst Miu Miu, das Label der Stunde, nutzt in seinen Taschenkollektionen mittlerweile charm-inspirierte Verschlüsse und Clip-Details, die ebenso funktional wie ästhetisch wirken.
Der aktuelle Charms–Trend steht exemplarisch für eine Bewegung innerhalb der Mode, die Individualisierung nicht nur als Marketingstrategie, sondern als soziokulturelle Reaktion versteht. Die Entwicklung spricht für eine Rückbesinnung auf Rituale: das Sammeln, das Kuratieren, das Verweben von Erlebtem in Alltagsobjekte. Inmitten algorithmischer Homogenität wird die Wahl eines Charms zum Statement.